Selbstverantwortungs-Rant

Die letzten 30 Jahre

ObstComputer hatte eine Vision und MikroComputer hat es nachgemacht. Irgendwann konnte dann Bildbearbeitung Hintergründe vervollständigen und Objekte verschwinden lassen. Neulich waren dann realistisch wirkende aber künstlich generierte Bilder der heiße Scheiß, inzwischen finden ebensolche Videos Verbreitung und Texte müssen auch nicht mehr selbst geschrieben werden.

Hinter jeder dieser Entwicklungen steckt dieselbe Botschaft: Interesse ist unnötig > Du musst nichts können und kannst trotzdem all diese geilen Sachen machen.

Jeden Tag auf der Straße dokumentieren Autos mit Fahrassistenten, dass offenbar niemand mehr selbst blinken oder etwa um sich blicken muss und im werbegetakteten Fernseh-Einerlei reduziert sich tagtägliches Leben auf Selbstoptimierung und Inanspruchnahme von Dienstleistungen als Spitze der Evolution.

Die Botschaft > Alles ist immer leichter zu tun oder zu haben.
Die Bedeutung > Alles ist austauschbar.

Gerade atmen geplagte Nutzer:innen auf, weil sie plötzlich nicht mehr in der Verantwortung für ihr Tun stehen müssen. Die Welt ist zu kompliziert geworden, als dass das noch ein 'normaler' Mensch durchschauen könnte.
Die neue Lösung > mehr Technik.

Die Technik verstecken

Eine Tendenz solcher Entwicklungen im Alltags-IT-Bereich geht schon lange dahin, den Nutzer von vermeintlich erschreckender Technik zu schützen. Das beginnt bei Menüs und dezidierten Funktionsbuttons, die zugunsten sogenannter Assistenten versteckt werden, wodurch sich komplexe Verarbeitungsschritte auf ein paar Mausklicks oder Multiple-Choice-Antworten reduzieren lassen.

Auf diese Weise lassen sich tatsächlich Aufgaben bewältigen, für die man zuvor einiges an Wissen und/ oder Erfahrung benötigt hätte.
Allerdings bringt man auch immer nur diejenigen Kenntnissen in den so vereinfachten Prozess ein, die man eben hat. Und das Ergebnis hängt dann von der Qualität der Implementierung ab und wird – austauschbar.

Was ist nun passiert

Ein anderes Beispiel im sehr speziellen Bereich der täglichen Büro- und Privatkommunikation ist das Ausblenden realer eMail- und Link-Adressen in Mailsoftware (ACHTUNG Fachbegriff: 'Mail-Client'). Über die Motivation der Programmierer:innen solcher Software kann nur spekuliert werden.

Meiner Vermutung nach geht es zumindest bei den Mail-Adressen darum, die Nutzer:innen nicht mit technischem Gedöns zu erschrecken, was mutmaßlich Gefühle der Überforderung auslösen könnte.
Stattdessen sehen diese nur den Anzeigenamen von Mailabsendern – jenen 'Vollen Namen', der bei der Einrichtung eines Mail-Clients als natürlich lesbarer und einfach zu merkender Name angegeben und auch jederzeit verändert werden kann.

Eine andere Interpretation dieser Entwicklung unterstellt die Störung eines ästhetischen Empfindens, welches sowohl durch die Anzeige technischer Mailadressen, als auch technischer Ziele von Verlinkungen ausgelöst werden kann.
Das passt zu einer Beobachtung im gleichen Feld, bei der Webseiten ein pixelgenaues Layout abgerungen wird und folgerichtig auch eMails entsprechend Formatiert werden sollen.
Dies geschieht mit ACHTUNG Fachbegriff: 'HTML'.

Im Grunde ist ein solches Formatierungsansinnen folgerichtig, wenn zielgenau möglichst viel Werbung und sonstige Botschaften platziert werden sollen und dies zur eigentlichen Botschaft von Nachrichten und Webseiten wird.

Aber HTML kann eben auch Elemente verstecken und sogar Programmcode ausführen.

Was folgt daraufhin

Nun bekommen also so viele Nutzer:innen wie nie zuvor im Stundentakt Mails von ihrer Bank, weil ein Konto gesperrt werden muss, von ihrem Provider, weil die Domain zur Disposition steht, oder von der Krankenkasse, dem Streaming-Anbieter, dem Food-Lieferanten oder was-weiß-ich, weil umgehend Daten bestätigt werden müssen oder eine sonstwie sofortige Reaktion vonnöten ist.

Ah, ich bin wichtig, ich bin gefragt, ich bin unersetzbar.

Plausibilität

Geht's noch? Simples Kopfeinschalten kann viele solcher Aufforderungen als Falschnachrichten entlarven. Habe ich überhaupt ein Konto bei dieser Bank? Wieso bekomme ich eine offensichtlich für einen Admin bestimmte Nachricht? Woher hat dieser Dienstleister meine eMail-Adresse?

Wer hierbei schon scheitert, hat die Kontrolle über sein IT-Leben längst verloren. Von 'Beherrschen' des Werkzeugs 'Mail-Client' kann nicht die Rede sein, nur weil man einen Text zu lesen fähig ist. Davon abgesehen bedeutet lesen ja noch nicht begreifen.
Allen anderen bringt im zweiten Schritt ein Blick auf die tatsächliche Adresse eines Absenders und/ oder eines Links Klarheit.
Und hier kann die Technik übrigens schon immer helfen.

Technische Lösung

Das zumindest von mir wahrgenommene Geschrei nach technischen Lösungen meint dagegen vermutlich gut verpackte Prozesse, die selbst Bewertungen vornehmen und den Nutzer in seiner flauschig durchdesignten Klick-Welt belässt.

In der Folge sind dann wohl noch mehr Mails entweder 'im Spamordner verschwunden, sorry' und das bloße Ansehen eines Mailanhangs wird ein halbes Dutzend Sicherheitsabfragen, einen Online-Check durch allmächtige, aber unbekannte Institutionen und im Zweifel eine Extrarunde durch den Quarantäneordner erfordern, aus dem ihn nur der Admin zurückholen kann. Der kommt aber erst nächste Woche und hat eigentlich besseres zu tun.

Das wiederum wird die Nutzenden derart ermüden, dass sie einfach wie bisher jeglichen Dialog unbesehen Abnicken. Danke auch.

Kenne Dein eMail-Werkzeug

Leute, wo hakt es? Schaltet die Anzeige der tatsächlichen technischen Mail-und Linkadressen ein und macht euch vertraut damit, einen kurzen Blick darauf zu werfen.

Wie im Browser auch, wird diese Information spätestens dann angezeigt, wenn man mit der Maus darüber fährt – meistens unten in der Fußzeile des Fensters oder auch als ACHTUNG Fachbegriff: Popup direkt neben dem Mauszeiger. Und zum impulsgesteuerten Anklicken müsst ihr die Maus ohnehin dorthin bewegen. Keine zusätzliche Arbeit also.

Wenn dann als tatsächlicher Absender einer Nachricht selbst von der eigenen Hausbank so etwas wie '0815@promotion-wasweissichdenn.eu' steht, ist eigentlich jede Frage beantwortet.
Gleiches gilt für einen Link mit dem Text 'Daten jetzt verifizieren', dessen technische Adresse sich als '4711-gleichhabichdich.network.uk' verbirgt.
Und bitte, wenn die Adresse stattdessen mit '4712' beginnt, dann ist das kein bisschen besser.

Amen